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[Gelesen] Uwe Kolbe–Die Lüge

Eulenpost(s): [Gelesen] Uwe Kolbe–Die Lüge

Donnerstag, 15. Mai 2014

[Gelesen] Uwe Kolbe–Die Lüge

Auf dieses Buch bin ich durch den Newsletter des Verlages aufmerksam geworden. Freundlicherweise hat man mir dann auf Anfrage ein Rezensionsexemplar geschickt. Herzlichen Dank!

DieLüge

 

Verlag: S. Fischer Verlag
Seiten: 384
Preis: 21,99 Euro
Genre/Thema: Lebensgeschichte, Familienkonflikt, Zeitgeschichte

 

KLAPPENTEXT Dies ist die Geschichte einer maßlosen und erschreckenden Verstrickung: Ein Vater, der in den Osten ging, um dem Land seiner Hoffnungen zu dienen. Ein Sohn, der als Komponist die Sounds seiner Generation einfängt und sich mit der Zensur arrangiert. Als der Sohn Karriere macht, steht der Vater vor der Tür. Fortan umkreisen sich die beiden, nur langsam ahnt man, welchen Kampf sie miteinander führen. Uwe Kolbes Roman vom Verrat am eigenen Leben ist auch eine Absage an die Gleichgültigkeit, ob im Alltag einer Diktatur oder anderswo.

MEINE ERWARTUNGEN Der Klappentext machte mich neugierig. Der angedeutete Vater-Sohn-Konflikt klang spannend, die Verknüpfung mit der DDR-Geschichte brisant. Ich freute mich auf eine interessante Familien- und Lebensgeschichte.

MEINE EINDRÜCKE Für diesen Roman ist es interessant und auch hilfreich zu wissen, dass Uwe Kolbe ein erfolgreicher Lyriker ist. Die Lüge ist sein erster Roman. Kritische Stimmen sagen, dass er sich vielleicht noch etwas Zeit hätte geben sollen. Warum?

Ich kann den Kritikern insofern zustimmen, als dass die Handlung nur schwer zu fassen ist. Zwar erzählt Uwe Kolbe die Geschichte des Sohnes, aus dessen Perspektive in Ich-Form, allerdings schweift er immer wieder ab, verliert sich in langen Beschreibungen, so dass der Leser sich auch verliert beim Lesen. Eine Zusammenfassung des Inhalts zu geben, ist kaum möglich.
Aber das ist auch nicht das wirklich Essentielle in diesem Roman. Die vielen kleinen Szenen, Gedankengänge und Beschreibungen in Die Lüge schildern eine (künstlerische) Gesellschaft, die mit den Fragen der Zensur, Moral und Scham zu kämpfen hat. Anhand eines Vater-Sohn-Konstrukts werden zwei auf den ersten Blick sehr gegensätzliche Pole dargestellt: der Vater, der freiwillig vom Westen in den Osten geht, um der Einheitspartei zu dienen und deren Statuten durchzusetzen, die Kunstschaffenden zu beobachten und im Zweifelsfall umzuleiten. Der Sohn, ein Kunstschaffender, der sich für oppositionell hält, aber nicht stark genug ist, sich konsequent dafür einzusetzen, sondern durch die Zwänge, Beschränkungen und Zensuren hindurchwindet.

Uwe Kolbes Stärke ist hierbei die Sprache. Selbst wenn man nicht wüsste, dass er ein angesehener Lyriker ist, kann man genau das lesen. Lange verschachtelte Sätze, oft mehrere Zeilen lang. Beschreibungen eines einzelnen Sachverhaltes oder einer Begebenheit mit vielen Aufzählungen, die Suche nach Synonymen, nach dem treffenden Wort. Diese Sprache spiegelt das Wesen des Sohnes, der die Geschichte ja größtenteils selbst erzählt, besser wieder, als das, was er tatsächlich tut. Eine innere Zerrissenheit und Unsicherheit schwingt in den Worten mit.

Natürlich musste ich mich fragen lassen, wer ich war, welche Rolle ich hier spielte als ein einschlägig veröffentlichter, wenn auch gerade ein wenig kurz gehaltener E-Komponist unter all den Undergroundmusikern in ihren verschlissenen Klamotten, mit ihren geistigen Gesichtern, mit ihren Augenringen der Entbehrung, mit ihren bebenden, gelbgerauchten Händen, dass ich da nur irgendetwas sagen wollte. Ich fragte es mich selbst, doch nur kurz. (Zitat Seite 303) 

Doch das Fehlen einer greifbaren Handlung zieht auch das Fehlen einer greifbaren Aussage mit sich. Schaut man sich die Kritiken in den Tageszeitungen und Magazinen an, so gibt es autobiografische Ansätze, gesellschaftskritische und systemkritische. Eine Kritik schwingt in Die Lüge wirklich mit. Doch was sie wirklich, eindeutig kritisiert, dass muss sich der Leser herauslesen. Und kommt dabei vermutlich zu einem ganz persönlichen Ergebnis.
Da Uwe Kolbe die DDR nicht ein einziges Mal beim Namen nennt und auch Namen von historisch bedeutsamen Künstlern, Staatsmännern und anderen Persönlichkeiten verändert, kann die DDR hier nur als ein Beispiel für etwas Allgemeingültigeres betrachtet werden. Gleiches gilt für einen autobiografischen Ansatz. Schon die Tatsache, dass der Protagonist Komponist und nicht Lyriker ist, verweist für mich darauf, dass die Geschichte keine persönliche sein soll.

FAZIT Die Lüge ist sicherlich keine einfache Lektüre. Eine poetische Sprache und das Fehlen eines deutlich sichtbaren roten Fadens in der Handlung erschweren das Lesen. Und dennoch fesselt die Sprache, fasziniert die Geschichte. Die Lüge ist ein poetischer Roman, der einen ganz eigenen, interessanten Blick auf die Geschichte Deutschlands und auf die heutige Gesellschaft allgemein wirft. Das Buch verlangt dem Leser viel ab, braucht Zeit zum lesen und es braucht Zeit, es zu verdauen.

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1 Kommentare:

Am/um 18. Mai 2014 um 20:34 , Anonymous RoM meinte...

Grüß Dich, Melissa.
Zeit für ein Buch zu haben ist eine wertvolle Einsicht. Im Gegensatz zu leichter Muse (kein Negativum!), verlangt einem der eine bis andere Roman Gedankenzeit ab. Keine fertigen Happen in Kapitelform, sondern Sätze, die es für einen selbst zu ergründen gilt. Idealerweise ohne die "Betriebsanleitung" des Autors, der Schriftstellerin. Nicht selten begegnet einem Poesie dabei - passiert mir zumindest regelmäßig bei Zoe Jenny.

Der Vater, der sehenden Auges Teil einer Knute wird und der Sohn, dem keine Wahl gewährt wird - dramatisch. Dies zumal sich beide gegenseitig mit Vorwürfen und Rechtfertigungen beharken werden.

Dein Zitat offenbart die Neigung Kolbes zu überlangen Verschachtelungen. In dem Text fehlt zumindest ein (!) Punkt. ;-)

Angemessene Rezi!

bonté

 

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